Nachdem sie erfahren hatte, dass der Mann ihr Großvater war rannte sie zu ihm und umarmte ihn innig. Seit ihrer Kindheit hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Ihre Tränen waren Tränen der Freude, aber auch der Trauer, musste sie doch unwillkürlich an Sina denken. Man konnte ihr leises Schluchzen in der ganzen Höhle vernehmen. Melio strich ihr über den Kopf um sie zu beruhigen, doch auch ihm standen die Tränen in den Augen. Von Gefühlen überwältigt verharrten die beiden einige Minuten bis Midai, immer noch schluchzend, ihren Kopf hob „Opa, du hast Oma Sina so gefehlt…“. Melio wandte seinen Blick abweisend zur Seite. „All die Jahre hat sie auf mich aufgepasst und dich dadurch verloren. Das kann ich nie wieder gut machen, aber jetzt, wo du wieder da bist… vielleicht könnt ihr noch ein paar Zyklen miteinander verbringen… Sina würde es sich so sehr wünschen“. Melio starrte auf den Boden und vermied Blickkontakt was Midai verwirrte.
„Ich wünschte nur es wäre so, Mi…“, sagte Melio leise und Midai schaute ihn entsetzt an.
„Bist du etwa nicht wegen Oma Sina zurückgekommen? Sag mir nicht, dass du eine and….“, erhob Midai vorwurfsvoll ihre Stimme.
„Ach Mi, es ist so viel komplizierter als du glaubst. Aber vertrau mir, während all der Jahre in meinem Exil gab es in meinem Herzen nie eine andere als Sina.“ Midai atmete auf, sie hatte keinen Grund an ihrem Opa zu zweifeln. Wenn sie den Erzählungen ihrer Oma Glauben schenkte war er der wahrhaftigste Mensch den sie kannte.
„Aber warum willst du sie nicht sehen?“
„Es geht hier nicht um das wollen, Mi. Ich wollte bereits zurückkehren. Ich war auch schon auf dem Weg…“
„Wie? Du warst auf dem Weg? Du bist doch hier!?“
„Ich bin hier, ja, das stimmt. Aber nicht ich bin zu dir gekommen. Viel mehr hast du deinen Weg gefunden“, erzählte Melio. Das klang für Midai zusammenhangslos. War sie doch nur in die Höhle gelaufen um Schutz vor den Häschern aus Ver’Laieu zu suchen. Melio griff nach Midais Hand und legte ihr etwas hinein. Er beugte sich vor und gab Midai ein Küsschen auf die Stirn. Dabei drückte er sie an sich. Midai schloss ihre Augen und schluchzte noch einmal leise. Von einem Augenblick auf den anderen war die Wärme die von seinem Körper ausging fort.
Midai kniff die Augen noch fester zu und schluckte tief. Inzwischen hatte sie mit ihrer rechten Hand das Geschenk ihres Opas ertastet. Ihre Gedanken rasten und versuchten alles in einen logischen Zusammenhang zu bringen. Plötzlich spürte sie eine warme Hand auf ihrem Kopf. Sie hatte die Hoffnung, dass es ihr Opa sei und riss die Augen auf. Doch vor ihr stand eine hübsche Frau in einem langen, weißen Gewand. Ihre rückenlangen, schwarzen Haare schmiegten sich glatt an ihren Körper und glänzten im einfallenden Licht. Midai erschrak und machte einen Schritt zurück.
„Keine Sorge, Midai, Alles wird gut werden“, sagte die Frau besänftigend. Midai erkannte die Stimme wieder von ihrem Traum neulich.
„Du bist Alau….nia?“, fragte Midai zitternd.
„Ja und ich bin froh, dass wir uns endlich in Ruhe unterhalten können, Midai.“
Midai ging auf die Frau zu und berührte sie vorsichtig am Arm und der Schulter. Dabei fühlte sie eine angenehme Wärme in ihren Körper fließen.
Alaunia schmunzelte leise, „Glaubst du mir etwa nicht was ich dir erzählt habe?“
„Doch, irgendwie schon. Aber du kannst es mir nicht verübeln, wenn ich zunächst meine Zweifel hatte. Ich meine wer hat schon davon gehört, dass Götter zu normalen Sterblichen sprechen“, erwiderte Midai wieder nüchtern argumentierend.
„Wäre es dir lieber, wenn ich mit Blitzen um mich werfen würde?“
„Es würde auf jeden Fall schneller die Zweifel beseitigen“, antwortete Midai schnell und musste dabei etwas lachen.
„Leider ist es heute so geworden. Wenn man nicht mit Blitzen spielt, das Meer zu einem Tsunami auftürmt oder über die Erde schwebt gilt man nicht mehr als Gottheit. Es ist traurig zu was für einem Platz die Erde mittlerweile geworden ist“, sagte Alaunia und setzte sich ans Ufer des Quellsees.
„Bis vor kurzem habe ich nicht einmal an deine Existenz geglaubt, da ist das hier doch schon ein Fortschritt…und überhaupt, du tust ja geradezu so als wenn die Götter überall sind und wir sie nur nicht erkennen.“
„Nicht mehr, früher als ich sterblich war, da lebten die Götter mit uns zusammen. Nur deswegen war der Glaube so lange Zeit in den Köpfen verankert. Und ich habe damals auch meinen Mann, Capricornus, kennengelernt.“
„Das klingt doch als wenn alles gut gelaufen wäre“, erwiderte Midai und hockte sich neben die Frau.
„Das stimmt sogar. Bis zu einem gewissen Grad konnte jeder seine Glückseligkeit finden. Wir halfen den Menschen soweit wir konnten. Aquarius zum Beispiel ließ die Flüsse über die Ufer treten umso fruchtbaren Boden an Land zu schwemmen, das machten wir gerne. Jedoch traten mit Gier und Neid zwei der weniger erstrebenswerten Eigenschaften zu Tage. Die Menschen baten die Götter immer häufiger um Gefallen oder wollten sie für sich einnehmen. Eben jener Aquarius wurde gebeten andere Dörfer mit einer riesigen Welle dem Erdboden gleich zu machen um Nahrungsquellen für sich zu beanspruchen. Und das ist nur eins von vielen Beispielen.“
„Aber das habt ihr doch nicht gemacht… oder?
„Nein, natürlich nicht. Aber nach diesen verabscheuungswürdigen Ideen hat Aliteros beschlossen, dass die Götter, zu denen ich auch zählte, uns nicht mehr mit Menschen umgeben sollten. Schließlich könne ein Gott seiner Aufgabe ja auch so nachkommen, dafür sei ein Kontakt mit den Menschen nicht nötig.“
„Das mag stimmen, aber es klingt danach vor einem Problem wegzulaufen. Aber was rede ich da, es ist nicht an mir über die Entscheidungen eines Gottes zu urteilen.“
„Aber du hast das Problem schon erfasst. Früher konnten die Götter mit uns reden und uns ihre Entscheidungen erklären. Floratia konnte ertragsärmere Ernten ankündigen, weil der Boden sich auch mal erholen muss. Aber seither gehen die Menschen entweder davon aus, dass sie sich den Unmut Floratias zugezogen wenn es mal karg wird. Oder sie haben uns bereits ganz vergessen. Und gerade meinem Mann tut der Gedanke, von den Menschen vergessen zu werden weh. Damals wart ihr und auch ich an seiner Seite, wo ihn die Götter haben hängen lassen. Er hat sich einmal mit Aliteros angelegt als darum ging mich zu seiner Frau zu machen.“, ein warmes Lächeln huschte über Alaunias Gesicht.
„Du liebst ihn wirklich, oder?“, fragte Midai leise.
„Die Unsterblichkeit ist nur an der Seite der Person die du über alles liebst zu ertragen. Aber um wieder zum Thema zurückzukommen, seit damals hat Aliteros jeden Widerstand unter den Göttern ohne Umschweife beseitigt. Und wir halten uns an seine Weisung.“
„Du bist ein Scherzkeks, du sitzt doch gerade neben mir und redest mit mir.“
„Ja und nein.“
„Du redest in Rätseln, Alaunia. Wenn du willst, dass ein einfaches Mädchen wie ich dich versteht, dann wäre es besser wenn du direkter wärst.“
„Wir Götter kümmern uns natürlich noch immer um euch. Das hatte ich ja bereits gesagt. Floratia kümmert sich zum Beispiel immer noch um die Ernte, aber um den Menschen etwas helfen zu können, lassen wir die Menschen träumen. Das gibt uns die Möglichkeit mit den Menschen zu kommunizieren. Wenn sie aufwachen haben sie uns vergessen, aber wenigstens manchmal bleibt unsere Botschaft die wir mit dem jeweiligen Traum erzielen wollen in Gedächtnis.“
„Aber das heißt ja….“
„Ja, in diesem Moment bist du am Träumen, Midai. Deswegen kann ich auch mit dir reden. Und ich sorge auch dafür, dass du dich an alles erinnern kannst. Das ist zwar etwas gegen die Regeln, aber ich habe Ceres‘ Segen. Ihr als Göttermutter tut es genauso weh ihre ‚Kinder‘ unglücklich zu sehen.“
„Heißt das, das was ich vorhin gesehen habe war ein Traum? Das Feuer im Dorf, die Hetzjagd nach mir und Rinas Verhalten, all das war nur ein Traum?“, fragte sie hoffnungsfroh.
„Natürlich kann nicht nur ich Träume beeinflussen. Auch Zodiak kann das und er hat dir diese düsteren Gedanken geschickt um dich zu beeinflussen.“
„Aber warum sollte man mich beeinflussen wollen….?“
„Naja deine Initiation als Matri steht bevor. Wenn du das Aquariusfest abgeschlossen hast giltst du al erwachsen und Rina wird dir die Aufgabe der Matri übertragen. Und wenn Zodiak dich davon abhält indem er dich verstört oder mit paranoiden Gedanken einschüchtert, so würde das weitaus größere Folgen haben als du es dir ermessen kannst.“
„Warum wird mir in deiner Geschichte so viel Bedeutung beigemessen. Es könnte doch sein, dass ich eine schlechte Matri bin und mein Volk unter mir zur leiden hätte. Mal ganz davon ab das ich nicht gerne Verantwortung trage. Und viele der Dorfbewohner denken gänzlich anders als ich. Das ist doch keine gute Voraussetzung um ihr Anführer zu sein.“
„Es ist beachtlich wie sehr du versuchst dich selbst davon zu überzeugen, dass du nicht die richtige Frau bist. Aber es ist viel einfacher. Du musst einfach mir vertrauen und meinem Glauben an dich. Du wirst es nicht leicht haben, aber du hast viele Freunde in Ver’Laieu die dir bei Seite stehen werden und dir Verantwortung abnehmen wenn es mal zu viel wird.“
„Aber….“
„Veränderungen und Wandel sind für viele Menschen furchterregend, denn sie können sich nicht sicher sein was kommt. Deswegen klammern sie sich an das Bekannte. Was jedoch niemand bemerkt ist das die Welt als Ganzes sich verändert und so auch die immer gleichen Abläufe und Tätigkeiten nicht zwangsläufig zum selben Ergebnis führen. Und wenn du kein Vertrauen in dich hast, dann habe es in mich. Denn ich werde dich während deiner Aufgabe begleiten.“
„Ich dachte ihr Götter dürft nicht mehr unter uns sein? Und selbst wenn ich diese Aufgabe annehme…“, sagte Midai als Alaunia ihr den Kopf streichelte.
„..Selia…….Melio….beide wollten den Wandel und standen dafür ein. Doch damals wart ihr Filari noch nicht bereit. Aber in nur einer Generation haben die Zwei geschafft was kaum jemand für möglich gehalten hat. Ich sage nicht das es leicht wird, aber du hast Rina und Sina an deiner Seite, deine Freunde, mich und sogar die Göttermutter Ceres sieht in dir ein besonderes Licht scheinen.“
„….haha…. Es scheint, ich habe keine Wahl wenn sogar die Götter dieser Meinung sind… Muss ich irgendwas Besonderes tun damit das funktioniert?“
„Du musst nur zum Aquariusfest gehen und den Tanz der Adoleszenz begehen. Alles Weitere wird Stück für Stück von selbst auf dich zukommen.“
Midai seufzte, „Du weißt schon, dass ich das Tanzen hasse. Ihr Götter seid mit eurem Manipulieren und Gedankentricks eigentlich furchterregende Wesen, muss ich mal sagen“
„Sieh es uns nach. Bis auf Zodiak haben wir alle eigentlich nur gute Intentionen“
„Ich hab wohl keine andere Wahl als dir zu vertrauen. Aber sag mir noch eines“
„Hmm?“
„Warum hast du zuerst diesen falschen Melio zu mir in den Traum geschickt? Hast du geglaubt, dass ich ohne ihn nicht für deine Worte offen wäre?“, fragte Midai inquisitorisch.
„Das war kein falscher Melio. Ich habe Amalthaeia gebeten seine Seele für ein paar Minuten aus dem Straelum zu lassen. Ich habe viel Leid auf der Welt gesehen doch seine Geschichte gehört wohl zu den Traurigsten. Also habe ich das Vorrecht der Götter mal ausgenutzt und eine kleine Familienzusammenführung ermöglicht.“
„Heißt das…“
„Ich kann und werde nicht jede Person aus dem Straelum in deine Träume bringen. Das wäre zu viel des Guten, aber ich denke es spricht nichts dagegen, wenn du ab und an von Selia oder Melio träumst. Ich denke das wird dir deine Bürde erträglicher machen.“
Daraufhin lächelte Midai und Tränen kullerten ihre Wangen herunter. Alaunia nahm Midai in den Arm und wieder spürte sie diese wohlige Wärme. Leise flüsterte Alaunia, „Viel Glück, Mi. Ich hab dir ein kleines Geschenk gegeben“, ins Ohr. Midai wollte gerade noch fragen was sie damit meinte, doch sie wurde plötzlich müde und ihre Augen schwer.
„Uuähh“, gähnte Midai laut öffnete ihre Augen. Sie sah den weiten, blauen Himmel über den einzelne kleinen Wölkchen zogen. Sie richtete ihren Oberkörper auf und konnte sich orientieren. Sie lag am Ufer des Mare-Sees. Auf der anderen Seite bereiteten die Dorfbewohner das Aquariusfest vor und Midai erinnerte sich an ihren Traum. Es dauerte eine Weile bis sie das alles was in ihrem Traum passiert war, verarbeiten konnte. Dafür hatte sie viel zu viele Gedanken im Kopf. Sie kratzte sich an ihrem Kopf und fluchte leise „Verdammt, warum nur ich?“. Und sie hätte wetten können, dass Alaunias leise Stimme gehört hat wie sie schmunzelte. Daraufhin ließ sie kurz den Kopf hängen und bemerkte, dass in ihrem Schoß die Oberschenkelfigurinen Selias und Melios lagen.
„Dazu sind die Götter also fähig“, dachte sich Midai und murmelte leise „Danke“, bevor sie aufstand und sich auf den Weg machte für ihren großen Auftritt.
Hinweis:
-------------- Ende der Midai Saga -------------------
Ingame nähere ich mich stetig meiner zweiten Stadt.

Und ich erkunde weiter meinen Süden.